Betrachtungen zu einem Phänomen
Vorbemerkung:
Im April 2003 beschäftigten wir uns im Rahmen eines Seminars mit Träumen. Während einer Runde, durch Wernher Sachons (Exist – Institut, www.naturtherapie.net) Trommeln in leichter Trance, kam mir ein Traumbild, in dem ich auf einem Weg stehe oder gehe, der sich vor mir bis zum Horizont hinzieht. Damit verbunden war ein Körpergefühl, wie wenn sich etwas aus dem Brustraum heraus aus mir ins Freie ergießt, ein schönes und befreiendes Gefühl. Dies brachte mich auf den Weg (sic!), mich mit dem Thema „Weg“, an das ich schon lange und immer wieder geriet, etwas gründlicher auseinanderzusetzen. Erst bruchstückhaft und im Laufe der letzten Monate dann immer mehr zusammenwachsend entstanden diese Annäherungen an das Phänomen „Weg“.
Trotzdem sind es nur Annäherungen. Fast täglich fällt mir etwas ein, was noch dazugehört. Das Thema dieses Skripts entspricht dem Prozess seiner Entwicklung, der alles andere als abgeschlossen ist. Euch, die Ihr diesen Artikel lest, lade ich ein meine Wegbegleiter zu sein.
Wolfgang Schmidtner, im Juli 2003
Teil I
Auf dem Weg sein –
Betrachtungen zu einem Phänomen
Ein Zeichen, um was es mir geht:
Rainer Maria Rilke (1924)
Spaziergang
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So fasst uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an –
und wandelt uns, auch wenn wirs nicht errreichen,
in jenes, das wir kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
wir aber spüren nur den Gegenwind.
Es hat den Anschein, als wäre Rilke einen Weg gegangen, auf dem es um Entdeckung seiner selbst ging. Es ging ihm um Fragen wie: Was berührt mich, was macht mich aus, wer bin ich? Und zwangsläufig stieß er auf das, was über seine Existenz hinauswies, was ihn verband mit denen, die vor ihm waren, und denen, die nach ihm kamen. Er spürte offenbar ein Feld (Sheldrake), er hatte Zugang zu einer Seele, die mehr ist als seine eigene (Hellinger), möglicherweise zu Archetypischem (Jung): „So fasst uns das, was wir nicht fassen konnten, voller Erscheinung, aus der Ferne an ….“
„Wir aber spüren nur den Gegenwind.“ Das Erstarrte und das Gewohnte, die Stimme, die uns rät zu bleiben, das meint Rilke wohl mit Gegenwind. Das Reizvolle und Erscheinungsvolle kommt oft erst im Gehen und fasst uns dabei aus der Ferne an.
Erlebensmäßige Annäherung:
Von Holzfällerhütte zu Holzfällerhütte im Norden Finnlands. Der Weg von einer Hütte in die ungefähre Richtung, bequem zu gehen, oft begangen, zeichnet sich sehr klar ab. Ich habe beim Gehen Zeit zum Schauen, ich gehe beharrlich, unent-weg-t. Doch dann verläuft sich der Weg in Pfade, ich verliere Ruhe und Sicherheit, die südliche unbeschwerte Hinbe-weg-ung wird zur nördlichen Suchbe-weg-ung. Die Pfade verlaufen sich in Spuren und Fährten, der Blick heftet sich an Details, erkennt Unterschiede, die gerade noch welche sind, dann ist der Weg weg, ich bin „ent-weg-t“, (= „aus der Ruhe gebracht“), Karte, Kompass, Kognition, Zweifel und Entschlusskraft (also Hilfsmittel und … Nordqualitäten eben) werden wichtig. Und da gibt es auch Entschlüsse ohne rational nachvollziehbare Grundlage, aus dem Bauch heraus, sie verlangen Mut und Ver-weg-enheit. Schließlich neue Spuren und Fährten, die mehr sind als ein Wunschbild , aufkeimende Hoffnung, Verdichtung zu Pfaden, wachsendes Gefühl von Sicherheit, Pfade werden zum Weg, Breit-weg-erich, gut für wunde Füße, wächst an seinem Rand, Unbeschwertheit, Zeit zum Spüren für die Wärme der Sonne, selbstvergessenes In-Kontakt-treten mit einem Birkhuhn. Die nächste Hütte, Glück, Triumph, Stolz, ich bin wieder sicher und geborgen, ich habe meinen neuen Platz gefunden.
Sprachliche Annäherung:
Wir gebrauchen das Wort Weg, so meint der Duden, in vier Bedeutungsfeldern:
1. Oft nicht ausgebaute Strecke, die zum Gehen oder Fahren dient.
Beispiel: Der Feldweg, der Hohlweg, …
2. Richtung, die einzuschlagen ist, oder Strecke, die zurückzulegen ist, um an ein
bestimmtes Ziel zu gelangen.
Beispiel: Jemanden den Weg zum Bahnhof zeigen. Der Hinweg, der Umweg, ….
Der übertragenen Gebrauch: „Du bist auf dem Holzweg.“
3. Gang, Fahrt mit einem bestimmten Ziel oder irgendwohin, um etwas zu besorgen.
Beispiel: Er ist auf dem Weg hierher. Unterwegs hierher, ….
4. Art und Weise, in der man vorgeht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Beispiel: Etwas auf schriftlichem Weg regeln. Klageweg, Postweg, ….
Fehlt da nicht etwas? „Mein Weg führt mich…“ – Da steckt etwas Unbestimmtes darin, das Ziel, sofern es das überhaupt gibt, ist noch verborgen, die Richtung ist nicht vorgeschrieben, und ob der Weg gut ist oder nicht – das ist nicht der entscheidende Punkt.
Annäherung: Der Weg im Lebenskreis
Der Weg steht im Kreis des Selbst mehr für die Richtungen, die mit Übergang zu tun haben (West und Ost). Während das Sich-Einfinden und Leben (Platz und Ort) eher dem Norden oder Süden zugehören.
Im Folgenden zwei ausgewählte Stories zur Verdeutlichung, welche charakteristische Färbung der Weg bekommen kann, je nachdem, im Dienste welchen Übergangs er steht.
1. Süd-Nord-Übergang (durch den Westen)
Die Story einer Jugendlichen am Tag des Übergangs zur jungen Frau (18. Geburtstag):
Mein Anliegen: Ich bin 18, ich habe den Führerschein. Es stehen mir neue Wege offen, die ich nun mehr alleine finden will. Meinen Weg will ich finden, der für mich stimmig ist. Das Fremdbestimmte durch Eltern und andere Erwachsene bleibt zurück. |
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Eröffnungssitzung mit Formulierung des Anliegens für ein Übergangsritual. |
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Es war schön auf dem Weg, ein vorgegebener Weg. Da dachte ich, der ist für den Anfang gerade recht. Doch dann war da eine Abzweigung, ein wilder Weg hinunter mit Klettern. Den ging ich. Ich mag das Abenteuerliche. Der Weg hinunter war schmierig, aber ich bin nicht ausgerutscht…. pferdekopfartigen Stein gefunden, der war so schön und er wäre auch ein gutes Symbol gewesen, aber ich habe ihn liegen lassen. Der war für mich und ich brauche ihn nicht allen zu zeigen. |
Halbstündige Wanderung mit dem Auftrag, sich von einem Symbol finden zu lassen, das für das stehen soll, von dem man sich trennen will. can turn and walk into the wild. Als erstes musst du auf dem Weg sein, bevor du dich abwenden und in’s Wilde gehen kannst. „Off the trail“ is another name for the Way, and sauntering off the trail is the practice of the wild. für WEG, und sich abseits des Weges zu bewegen ist das Praktizieren von Wildheit.
Gary Snyder, On the Path, off the Trail, in: The Practice of | |
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In der Höhle, das war voll cool, es hat riesigen Spaß gemacht ….. Den Weg da durch alleine zu gehen, das war ein Genuss. |
Durchgang von ca 300 m allein durch eine sehr enge, teilweise sehr niedrige und unbeleuchtete Höhle. Man musste sich den Anforderungen des Durchgangs stellen und sollte zugleich darauf achten, wie es einem dabei | |
Auf dem Rückweg vom Höhlenausgang ging es die Leiter hoch, das war auch cool. Darüber habe ich schon öfter nachgedacht, ob ich so wo wohl hochkomme. Und es ging …. |
Man musste eine Stelle passieren, an der man eine mehrere Meter hohe Eisenleiter zu erklimmen hatte.Der Rückweg wurde so zu einem Inbild ihres Schwungs. Nichts, so scheint es, kann sie derzeit aufhalten | |
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2. Nord-Süd-Übergang (durch den Osten) | ||
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Ich entschloss mich den Wald zu verlassen. Auf allen Naturerfahrungen war ich bisher fast nur im Wald. Ich ging hinaus auf Feld und Wiesen. Auf dem Feld war es viel heller und der Wind von hinten schob mich voran. |
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Vergleiche: Eine Zen-Geschichte Unterschied zwischen Mensch und Tier zu erklären, denn letztlich besäßen doch beide die gleiche Buddha-Natur. Der Meister lächelte: „Gut, ich werde euch den Unterschied zwischen Ratten und Menschen erklären: Labyrinth mit vier Tunneln setzen und zuvor immer in den vierten Tunnel ein Stück Käse legen, lernt die Ratte schließlich, in den vierten Tunnel zu gehen, um an den Käse zu gelangen. Ein Mensch lernt das auch. Du willst Käse, also gehst du in den vierten Tunnel, und dort ist er. Jetzt verlegt aber der große Gott des Lebens nach einer Weile den Käse in einen anderen Tunnel. Die Ratte geht in den vierten Tunnel. Kein Käse im vierten Tunnel. Die Ratte kommt raus. Geht wieder in den vierten Tunnel, kein Käse. Kommt raus. Wieder in den vierten Tunnel. Kein Käse. Kommt raus. Und so weiter. Schließlich hört die Ratte irgendwann auf, in den vierten Tunnel zu gehen und sucht woanders. Und hier zeigt sich der Unterschied zwischen Ratte und Mensch: Menschen gehen immer in den vierten Tunnel! Ewig! Menschen sind vom vierten Tunnel überzeugt. Ratten sind von nichts überzeugt. Sie interessieren sich für Käse. Der Mensch aber entwickelt eine Überzeugung: den Glauben an den vierten Tunnel. Der Mensch fängt sehr schnell an, es für richtig zu halten, in den vierten Tunnel zu gehen, – ob Käse drin ist oder nicht. Der Mensch hat lieber recht als seinen Käse! Ihr seid hier und praktiziert Zen, um alle eure Käse-verneinenden Überzeugungen zu verlieren.
Das ist eines der Kennzeichen eines Nord-Süd-Übergangs: Ich lasse meine Gewohnheiten und Überzeugungen …. |
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Eine Wacholderheide gegenüber lud mich ein, ich ging darauf zu und fand dort jede Menge Küchenschellen in kräftigen Farben, einfach schön. Hier setzte ich mich für längere Zeit hin. |
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… und nehme neue Einladungen und Anregungen an …. |
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Dann bewegte ich mich auf einen Buchenwald zu, gleich nach dem Waldrand fiel das Gelände steil ab. Ein steiler, vielleicht zu steiler Pfad, vermutlich ein Wildwechsel, führte hinunter. Ich ging bis zu dem Punkt, von dem aus ich den Hang einsehen konnte. Es könnte gehen, dachte ich mir, die Richtung stimmt auch. Ich ging und es ging besser als erwartet. Alles halb so schlimm. |
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…. und spiele wie ein Kind mit den Grenzen, fast furchtlos, halb so schlimm. |
Annäherung: Klarere Sicht durch den Antagonisten, den Platz
Nur die Gegensätze lehren einen die Welt kennen:
Wer nicht ums Dunkel weiß, kann das Licht nicht erkennen.
Japanischer Spruch aus der Geisteshaltung des Zen
So ist es auch mit dem Weg. Die Bedeutung des Wegs ist nur für den zu erkennen, der von seinem Gegensatz, dem Platz, weiß.
Das Gegenstück, die andere Seite der Medaille: Platz, Ort, …
Es gibt eine Zeit für den purpurnen Blitz, der die Dämme des Himmels aufreißt,
aber es gibt auch eine Zeit, in der sich die durchgebrochenen Wasser wieder in der Zisterne sammeln. Es gibt eine Zeit der Eroberung, aber es kommt auch die Zeit
für die Festigung der Reiche.
Antoine de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste
Ob Hin- oder Suchbewegung, das Wesentliche des Weges ist auf jeden Fall Bewegung, das Wesentliche des Platzes hingegen ist Ruhe, Ordnung, Sicherheit und Eingebettetsein in eine ressourcenreiche Umgebung.
Solche Orte können eine besondere Ausstrahlung erlangen und affektiv stark besetzt sein (Orte mit „Feld“). Heiner Barz („Yin-Yang statt Kruzifix“ in Psychologie heute – compact, Heft 8, 2003) nennt diese Orte auratische Orte und systematisiert sie folgendermaßen: Kultplätze aller Art, von den großen Domen und Pyramiden bis hin zu Menhiren oder Gedenksteinen. Orte in der Natur, von den großen Naturwundern bis zu einem moosbewachsenen Stein an einem plätschernden Bach. Und Orte mit hohem Erfahrungswert an Geborgenheit, wie das eigene Bett oder die Sitzbank in Omas Küche.
Menschheitsgeschichtliche Annäherung:
Unsere Vorfahren brachen in den Jahrmillionen der Menschheitsgeschichte immer wieder auf, verbreiteten sich von Ostafrika aus über die ganze Welt. Triebfeder waren Veränderungen der Lebensbedingungen, die einen solchen Aufbruch notwendig machten. Und durch Wandern, durch Verbreitung über Kontinente mit allen nur denkbaren Lebensbedingungen wurde die kognitive Entwicklung enorm angeregt, neue Lebensräume erschlossen sich, die zwischenmenschliche Konkurrenzsituation wurde erheblich entschärft. Die Wanderer erfuhren gegenüber den „Zurückgebliebenen“ einen immensen Selektionsvorteil. Wir, die Nachkommen der Wanderer, haben es in unseren Genen, sie ziehen uns fort, sie „reißen“ uns zur „Reise“ (gleicher Wortstamm!).
Bruce Chatwin berichtet in seinem Buch „Songlines“:
Dass der Mensch eine wandernde Spezies ist, wird meines Erachtens durch ein Experiment bestätigt, dass in der Tavistock-Klinik in London durchgeführt und von Dr. John Bolwby in seinem Buch „Attachment and Loss“ beschrieben wurde.
Jedes normale Baby schreit, wenn es allein gelassen wird; um es zu besänftigen, nimmt die Mutter es am besten in die Arme und wiegt es oder „wandert“ mit ihm herum, bis es wieder zufrieden ist. Bowlby bastelte eine Maschine, die den Gang einer Mutter, das Tempo und die Bewegungen, perfekt initiierte. Er stellte fest, dass das Baby, vorausgesetzt, es war gesund, satt und hatte es warm, sofort zu schreien aufhörte. „Die ideale Bewegung“, schrieb er, „ist eine vertikale, mit einer Verschiebung von 10 Zentimetern.“ Langsames Wiegen, zum Beispiel dreißigmal pro Minute, hatte keine Wirkung: aber wenn man das Tempo auf fünfzigmal und mehr steigerte, hörte jedes Baby mit dem Schreien auf und blieb dann fast immer still.
Die Aufbrüche unserer Vorfahren gingen sicher sehr oft ins Unbestimmte. Sie waren in der Regel eine Suchbewegung nach besseren Plätzen.
Oder die Lebensbedingungen mussten sich immer wieder regenerieren. Der Mensch bricht auf, verbleibt, bricht auf, verbleibt, bricht auf und irgendwann schließt sich der Kreis. Eine Suchbewegung, die im Lauf der Zeit zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Ist der Weg erstmal gebahnt, so ist er wiederholbar, es entsteht eine kreisläufige Hinbewegung, wie sie heute noch die Ureinwohner Australiens mit ihren Traumpfaden („songlines“) pflegen. Immer wieder begangen seit zehntausenden von Jahren. Die Lieder und Geschichten weisen den Weg. Wer sie kennt, weiß um Wasser, Nahrung und heilige Orte.
Oder: Seit vorgeschichtlicher Zeit begleitet der Mensch die ihm zur Nahrung dienende Tiere auf deren Weg (Büffel, Karibus) oder – in geschichtlicher Zeit – weist seinen Herden den Weg, den die Nahrung erforderlich macht (Nomadentum). Eine Hinbewegung.
Oder: Die Tuareg auf ihrem Weg durch die Wüste mit ihrer Karawane zu Tauschgeschäften. Die Kamele, in der einen Richtung mit Gerät und Tuch, in der Gegenrichtung mit Salz und Datteln beladen, können nicht auch noch die Menschen tragen. Die laufen nebenher, 15 oder 18 Stunden am Tag, im Laufe ihres Händlerlebens nicht selten an die 100 000 km. Der Blick sieht nur das Gelbbraun des Wüstenbodens und das Blau des Himmels und die eigenen Schatten, die die Richtung weisen. Die Richtung des Handelswegs. Eine Hin- (und Her-) Bewegung.
Die Wurzeln und die Wurzeln der Wurzeln sind zahlreich. So zahlreich, dass das ursprüngliche Ziel, einen neuen Platz zum Leben zu gewinnen, einen gleichberechtigten Partner fand: Aufbruch, Wandlung, Weg. Der Weg wurde zum Ziel.
Annäherung: Religion und das Bild des Weges
Im Alten und im Neuen Testament wird das Bild des Weges sehr häufig (etwa 750 mal) gebraucht, ja mehr als das: Der Glaube ist der WEG.
Hier einige Beispiele:
Buch der Weisheit, 7,15
…denn er (Gott) ist der Führer der Weisheit und hält die Weisen auf dem rechten Weg.
Psalm 86,11
Weise mir, Herr, deinen Weg. Ich will ihn gehen in Treue zu dir. Richte mein Herz darauf hin, ….
Erster Brief des Johannes, Kapitel 4
Der Glaube als Weg zum Leben …
Brief des Paulus an die Hebräer, 2,1
Darum müssen wir um so aufmerksamer auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht vom Weg abkommen.
Die drei großen monotheistischen und prophetischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, alle nahöstlichen Ursprungs, alle aus dem Lebenskontext Wüste entstanden, haben, so sagt Hans Küng in „Spurensuche“, gemeinsame Leitfiguren:
Die erste ist Abraham. Er hat sich aus Mespotamien mit seiner Nomadensippe auf den Weg gemacht und blieb ein lebenslanger Fremder, ein Immigrant, der nie, mit Ausnahme eines Familiengrabes, Besitz (Platz, Ort) erwarb.
Die zweite ist Moses. Er inszenierte den Exodus, den Auszug aus Ägypten, weg aus der Knechtschaft der in Sesshaftigkeit erstarrten Ägypter, weg von den Fleischtöpfen, hinein in eine ungewisse Zukunft, vertrauend und hoffend nur auf Gott. Die Tradition der Pyramiden steht der Tradition des Lagerfeuers gegenüber (Martin Buber, Moses), der Gott Pharao in seinem Prunk dem bildlosen Gott im brennenden Dornbusch.
Unsere abendländischen religiösen Wurzeln verweisen uns auf den Weg. Das gelobte Land liegt immer vor uns. Wir stehen immer „vor Gott“ und nehmen seinen Auftrag, der immer den Charakter eines Weges hat, an.
Vom Mittelalter bis in heutige Zeit waren zahllose Pilger auf Pilgerwegen unterwegs. Auf kleinen im Umfeld von Klöstern bis hin zu dem Bußweg, dem Jakobsweg, quer durch ganz Europa nach Santiago de Compostela im äußersten Nordwesten Spaniens. Der Bußweg war früher ein Weg des Leidens, kein touristischer Weg wie heute, grundgelegt im Kreuzweg Jesu (der zur Erlösung führende Weg), nachempfunden und nacherlitten in den zahllosen Kreuzwegen meist hinauf auf Hügel oder Berge wie auf den zur Kreuzigungsstätte von Golgatha. Die Buße wurde hier oft wirklich zum blutigen Leiden, wenn solche Wege etwa auf Knien zurückgelegt wurden. In unseren Vorstellungen können Wege, und manchmal müssen sie sogar, uns schinden.
„Der Weg“ in religiösen Vorstellungen fühlt sich keineswegs immer so an, wie unsere religiösen Wurzeln es grundgelegt haben.
Im Taoismus z.B. wird das Wort „Tao“ in deutschen Übersetzungen oft mit „Weg“ wiedergegeben, seine Bedeutungsrichtung ist „Sinn“, der alles umgreifende SINN, der alles einschließende WEG. Tao lässt, ohne zu handeln, in Ruhe alles entstehen. „Leerheit“ ist ein wesentliches Prinzip, frei von Leidenschaft und Begehren. Absichtslos ist Handeln oder Nicht-Handeln, ahmt so das stille, zyklische Wirken der Natur nach und kommt so in Einklang mit ihr.
Wenn hier von Weg gesprochen wird, ist, so glaube ich, ein ganz anderes Phönomen gemeint als beim Exodus aus Ägypten. In der Wüste ist die Natur ziemlich unzyklisch, wenn man von den oft extremen Gegensätzen zwischen Tag und Nacht absieht. Absichtslosigkeit wäre tödlich.
Ich möchte das jetzt nicht weiter untersuchen. Es ist aber wohl so, dass, wenn ich mich dem Phänomen Weg nähere, mir das durch Abraham, Moses und Co. geprägte Bild vor Augen und Gefühl in der Brust sehr viel näher liegt als etwa die Vorstellung des Taoismus. Zu ersterem habe ich immer Zugang, zu letzterem muss ich mich bereit machen, loslassen, einen Nord-Süd-Übergang in Angriff nehmen.
Annäherung: Auf dem Weg sein – eine bedeutsame Tradition
Den Wandel (!) zum modernen Denken, so fasst es J.E. Behrens in seinem Buch „Es gibt keinen Weg. Nur Gehen“ zusammen, schufen Denker, Wissenschaftler, Forscher, die oft Jahrzehnte ihres Lebens auf Wanderschaft waren, von Land zu Land zogen und dabei ihr riesiges Lebenswerk schufen:
Einige Beispiele von vielen:
Erasmus von Rotterdam, der große Humanist, der die geistigen Grundlagen des Protestantismus schuf (um 1500): Rotterdam – Paris – London – Rom – wieder London – Basel – zurück nach Holland – wieder Basel, um nur seine wesentlichen Stationen zu nennen. Das meiste davon zu Fuß!
Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, mit seinem umfangreichen Gedankengebäude zur Metaphysik (um 1700): Leipzig – Nürnberg – Mainz – Paris – London – Holland – Hannover – quer durch Italien – Wolfenbüttel – Petersburg – Wien – Hannover. Und wieder sind dies nur die Hauptstationen.
Nikolaus von Kues, Mystiker und Humanist, Naturwissenschaftler und Kardinal, als dessen Lebenswerk die Versöhnung von Gegensätzen bezeichnet werden kann (im 15. Jhrh.): Bernkastel – Heidelberg – Padua – Köln – Basel – Wien – Brixen – Rom …
Denken wir an Goethes „italienische Reise“ und ihre inspirierende Wirkung auf ihn.
Und vor diesen Größen des Geistes schon die Mönche! Quer durch das ganze Europa waren sie wandernd das Christentum verbreitend unterwegs gewesen.
Und nach ihnen die jungen Handwerker: Sie waren auf der Walz, wie heute noch die Zimmerleute. Nach der Lehre musste man hinaus und durfte sich „zwei Jahre und einen Tag“ dem Heimatort nicht nähern. Wenn man selbst ein Meister werden will, so war die Einsicht, darf man nicht nur bei einem Meister lernen. Wer wirklich gut werden will, muss erstmal gehen, bevor er gereift zurückkehren darf. Und, wie das Lied nahe legt, muss man nicht nur gehen, sondern man darf auch:
G C G e G
Es, es, es und es, es ist ein harter Schluss.
G C G e G
Weil, weil, weil und weil, weil ich aus Frankfurt muss.
G
So schlag ich Frankfurt aus dem Sinn
G C G
Und wende mich Gott weiß wohin.
e G
Ich will mein Glück probieren, marschieren.
Er, er, er und er, Herr Meister, leb er wohl. :/
Ich sag’s ihm grad frei ins Gesicht,
seine Arbeit, die gefällt mir nicht.
Ich will mein Glück …..
Sie, sie, sie und sie, Frau Meistrin, leb sie wohl. :/
Ich sag’s ihr grad frei ins Gesicht,
ihr Speck und Kraut, das schmeckt mir nicht.
Ich will mein Glück …..
Ihr, ihr, ihr und ihr, ihr Jungfern, lebet wohl. :/
Ich wünsch‘ euch all’n zu guter Letzt
einen andern, der mein Stell ersetzt.
Ich will mein Glück ….
Ihr, ihr, ihr und ihr, ihr Brüder lebet wohl.:/
Hab ich euch was zu Leid getan,
so bitt ich um Verzeihung an.
Ich will mein Glück …..
Große Aufbrüche! Oft passt das Leben, die Bindungen usw. dafür nicht. Trotzdem erscheinen sie notwendig, sonst droht „Erstarren“ (Rilke). Bis zu diesem vielleicht noch fernen Tag kann man ja schon mal üben:
Verlieren Sie vor allem nicht die Lust dazu, zu gehen: ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit; ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen loswürde …. beim Stillsitzen aber und je mehr man stillsitzt, kommt einem das Übelfinden nur um so näher … Bleibt man so am Gehen, so geht es schon.
Sören Kierkegard (1847), Brief an Jette
Eine Zusammenfassung
Das nächste Kapitel wird Möglichkeiten des naturtherapeutischen Arbeitens mit dem Phänomen „Weg“ bzw. „Gehen“ aufzeigen. Dies macht natürlich nur Sinn, wenn die Dimension der menschlichen Existenz klar ist, um die es hier geht. Deshalb zuvor der Versuch einer Zusammenfassung der für mich wichtigsten Punkte zum Phänomen „Weg“.
1. Auf dem Weg sein, gehen, aufbrechen ist eine Grundgestimmtheit menschlicher Existenz, auch und vielleicht in besonderem Maße angesichts unserer religiösen Wurzeln. Man kann sie wie einen Archetypus verstehen. Die Bahnung geht in Richtung auf: Wendepunkt suchen, Erkenntnis gewinnen, neue Ressourcen erschließen, neugierig sein.
…jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.
Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte.
Rainer Maria Rilke (1922), aus „Wolle die Wandlung“
Nichts ist, das dich bewegt: du selber bist das Rad,
das aus sich selbsten lauft und keine Ruhe hat.
Angelus Silesius
= Johannes Scheffler (Mystiker, 1624 – 1677)
2. Übergänge im Leben sind Phasen der Bewegung, ein alter Platz muss verlassen werden, ein neuer kann das Ziel sein. Dazwischen aber liegt der Weg. Das ist der klassische Dreischritt: Ablösung, Schwellenzeit, Wiedereingliederung (van Gennep, Riten des Übergangs). Das Dazwischen ist aber mehr als das, was zwischen zwei Plätzen nötig ist und was durch die Aufgabe des früheren Platzes erzwungen wird.
Etwas in uns will diese Bewegung. Für Menschen wie Bruce Chatwin (dessen lebenslanges und unvollendetes Vorhaben war es, eine regelrechte „Nomadologie“ zu entwickeln) wird es sogar wichtiger als der Platz:
Sobald wir unsere Kindheitserinnerungen ausgraben, fallen uns zuerst die Wege, erst später Dinge und Menschen ein – Wege durch den Garten, der Schulweg, der Weg um das Haus, die schmale Spur durch Farnkraut und hohes Gras.“
Bruce Chatwin, The Songlines, London 1987
Andere stehen einem Zuviel an Bewegung eher misstrauisch gegenüber und sehen wohl den Platz vorrangig:
Halt an, wo laufst du hin? Der Himmel ist in dir!
Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
Angelus Silesius
Wege geben der Schwellenzeit Rahmung und Richtung und diese Rahmung ist uns oft hilfreich.
But we need paths and trails and Aber wir brauchen Pfade und Wege und
will always be maintaining them. werden sie immer erhalten.
Gary Snyder, On the Path, off the Trail, in: The Practice of
the Wild, New York 1990
3. Für manche Aufbrüche aber gibt es keine gebahnten Wege (und vielleicht sind dies die wichtigsten Übergänge). Weglos ins Wilde (sh. das Snyder – Zitat in „Der Weg im Lebenskreis“)! Oder:
Caminante, no hay caminos, hay que caminar.
Wanderer, es gibt keine Wege, man hat zu gehen.
Antonio Machado (1875 – 1939), spanischer Dichter
Teil II
Sammlung naturtherapeutischer Übungen und Methoden, die den Weg bzw. das Gehen nutzen
Die ersten beiden der folgenden Wege sind wunderbare Übergangswege, die gerne von Erlebnispädagogen begangen werden. Dennoch scheinen sie mir auch naturtherapeutisch nutzbar zu sein, wenn die existentielle Dynamik aufgegriffen wird. Dies geschieht durch die Tiefung des Erlebens in der Vor- und Nacharbeit. Diese wird auch dadurch unterstützt, dass die Wege, so weit verantwortbar, alleine begangen werden. Beide Wege setzen exakte Ortskenntnisse und das Beherrschen der Sicherheitstechnik voraus! Auf diese gehe ich hier nicht weiter ein.
Höhlenweg – Schwellenweg
Ein Höhle auf der Schwäbischen Alb. Die Höhle selbst ist etwa 300 m lang und inszeniert einen ungemein passenden Rahmen für die dunkle Schwellenzeit eines Übergangs. Sie fordert den wenig Geübten vom ersten Augenblick an durch ihre Enge, er fühlt sich, auch wenn der Abstand zwischen den Leuten nur wenige Minuten beträgt, sehr schnell nur auf sich gestellt. Und die letzten 10 – 15 Meter, bevor es wieder ans Tageslicht geht, sind besonders eng und niedrig. Der Ausgang ist nicht der Eingang, es handelt sich also um einen regelrechten Durchgang. Sicherheitstechnisch und bezüglich der psychischen Stabilität der Leute ist die Höhle gut zu händeln.
Der eigentliche Übergang durch die Höhle wird gerahmt durch je einen Erfahrungsraum in der Natur vor und nach der Höhlendurchquerung. Ersterer eröffnet das Thema Ablösung, letzterer das Thema Wiedereingliederung.
Im einzelnen gehen wir nach mehrfacher Erfahrung folgendermaßen vor:
– Darstellung des Anliegens und Ablaufs bereits in einem Info-Brief an die Teilnehmer vorweg,
ebenso die Darstellung der physischen, psychischen und ausrüstungsmäßigen Voraussetzunmgen.
– Zu Beginn: Wiederholung der Zielsetzung der Erfahrung und detailgenaue Darstellung des
Ablaufs, der Risiken und des unter Sicherheitsaspekten erwarteten Verhaltens.
– Rundenarbeit: Naturtherapeutische Einführung (Kreis des Selbst, Übergänge), die Formulierung
der individuellen Anliegen, Arbeit an für die Teilnehmer stimmigen und für die Übung geeigneten
Anliegen.
– Räuchern als Zeichen der Reinigung und Bereitschaft, den Erfahrungsraum zu betreten.
– Ca. halbstündiger Erfahrungsraum in der Natur: Sich von einem natürlichen Gegenstand finden
lassen, der dasjenige symbolisieren kann, von dem die Trennung ansteht.
– Gemeinsamer Gang (in Schweigen) zum Höhleneingang. Dort schweigendes Warten.
– Betreten der Höhle in 3 – 5 Minuten Abstand. Individuelle Verabschiedung durch einen der
Leiter, individuelles Ritual, wie das Symbol nun der Natur zurückgegeben wird.
– Begrüßung „im Licht“ durch den anderen Leiter am Höhlenausgang.
– Rückweg zum Lagerplatz. Der Rückweg (nicht ganz einfach!) steht für die Phase der
Wiederangliederung mit ihren Chancen und Schwierigkeiten. Wieder ist es möglich, sich von
einem Symbol finden zu lassen.
– Räuchern als Zeichen des Willkommens am Ende des Erfahrungsraumes.
– Regeneration (Waschen, Umziehen, Essen).
– Das Hören der Stories am Feuer im Kreis, Mirroring.
Canyonweg – the way of no return
Entlang von Wasserfällen in Tirol. Auch hier stellt uns die Natur eine großartige Dramaturgie zu Verfügung, ideal für einen Süd-Nord-Übergang.
Die Vor- und Nacharbeit geschieht in ähnlicher Weise wie beim Höhlenweg. Meine Erfahrung mit diesem Weg ist noch gering. Sie besteht bislang nur in der Nacharbeit mit einzelnen Jugendlichen.
Bei diesem Weg geht es am Wasser beständig bergab. Dann die erste Steilstufe. Am Seil geht es mehrere Meter in die Tiefe. Unten angekommen wird das Seil abgezogen.
Die Story eines Jugendlichen:
Gerade war ich noch stolz darauf, ohne Angst das Abseilen bewältigt zu haben. Dann lag das Seil neben mit und ich blickte hinauf. Ein Zurück gab es nicht mehr. Ich musste von da an vorwärts. Es gab keine andere Möglichkeit. |
Der erste Schritt war nicht schwierig. Doch die aufkommende Euphorie erstickt im Ansatz. Der erste Schritt hat unausweichliche Konsequenzen. | |
Der Weg im Bachbett führt zu einer zweiten Abseilstelle und dann zu einer Steilstufe weiter, an deren oberen Kante keine Möglichkeit zum Einhängen eines Seils besteht. | ||
8 oder 10 Meter unter mir lag ein tiefer Gumpen. Oben war nichts, an dem man das Seil hätte befestigen können. Es blieb nur der Sprung. Mein Gott, war das Abseilen dagegen einfach. Man hatte uns gezeigt, wie wir springen müssen: kerzengerade, die Arme an die Seiten gepresst. Im Spaß waren wir von kleinen Felsbrocken herabgehüpft, übertrieben steif. Aber nun ….. Ich weiß nicht, wie oft ich den Absprung im letzten Augenblick wieder unterbrochen habe. Und wie ich dann wirklich sprang, war es wohl eher so, dass ich das Gleichgewicht verlor und nicht mehr abbrechen konnte. |
Das Spielerisch-Südliche ist mit einem Schlag vorbei. Das jugendlich-halbstarke Sich-Mut- Machen ist Vergangenheit. Mut haben wird zur Voraussetzung. Es herrscht Ernst. | |
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Schließlich eine letzte Sprungstelle. Von der Seite ist einsehbar, dass unten ein tiefer Gumpen ist, in den man springen kann. Von der Absprungstelle selbst ist dieser aber nicht zu sehen. Man läuft 3 -4 Schritte auf einer geneigten Felsplatte nach vorne und springt dann. Ist man erstmal losgelaufen, kann man eigentlich nicht mehr abstoppen. | ||
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An dieser Stelle war’s mir dann schon egal. Ich kam an der Stelle an, blieb nicht stehen, lief einfach weiter und sprang. Nicht wissen, was auf mich zukommt, und rein ins Ungewisse. „Na und?“ dachte ich mir, „das ist doch unser Job“. |
Die Notwendigkeit dieses Sprungs verdichtet das, was Gary Snyder mit der Notwendigkeit, ins Wilde zu gehen, meint. Irgendwann ist diese Herausforderung unausweichlich da. Und, je besser die Hinführung war, um so selbstverständlicher wird sie bewältigt. | |
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Decision-road
Diese Übung verdanken wir in ihren Grundzügen Steven Foster und Meredith Little (sh. www.schooloflostborders.com).
Im Gegensatz zu den beiden bisher geschilderten Übungen ist beim Gehen der Decision road keine besondere erlebnishafte Qualität mit erhöhtem Risikopotential enthalten. Das innere Erleben, also die naturtherapeutische Kernqualität, steht alleine im Vordergrund.
Wie bei vielen naturtherapeutischen Übungen überschreitet man zu Beginn und zum Ende der Übung eine Schwelle, z.B. aus Ästen oder Steinen. Die beiden Schwellen bilden eine übergangsrituelle Einrahmung. Es entsteht ein rituelles Feld, das symbolhaftes Erleben fördert. Mit dem Überschreiten der Eingangs-Schwelle können daher natürliche Objekte (ein Baum, ein Tier, ein Gewässer…), zu denen ein seelischer Bezug (z.B. Neugier, Überraschung, Erschrecken) entsteht, symbolhafte Bedeutung annehmen. Ein Beispiel: Während ich wandere und daran denke, was mein Leben mir bislang mitgegeben hat, bleibt mein Blick an einem Baum mit einem mächtigen Stamm hängen…,ich reagiere erst überrascht, dann bewegt mich etwas sehr tief, denn eine solche Verbindung ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen.
Einen solchen Symbol-Raum betritt man auch in der Übung „Decision-road“. Man hält sich an einen Weg, an Weggabelungen muss man sich immer wieder für einen bestimmten Weg entscheiden, mit allen Konsequenzen. Die Entscheidungen eröffnen die Erfahrungen, die auf dem gewählten Weg möglich sind, und schließen zugleich die Erfahrungen, die die anderen Wege bereitgehalten hätten, aus.
Die Übung eignet sich besonders gut für Zeitabschnitte im Leben, in denen „Probehandeln“ nicht mehr möglich ist, sondern Entscheidungen anstehen, Entscheidungen, die Räume eröffnen, aber auch alternative Räume verschließen.
Rundenarbeit rahmt den Erfahrungsraum der decision road ein (zur Klärung des Anliegens und zur Bestärkung beim Hören und Spiegeln der Stories).
Im folgenden gebe ich einige Übungen wieder, wie sie Steven Foster und Meredith Little entwickelt haben und in ihrem Buch „Die Vier Schilde“ beschreiben.
Die Tageswanderung: Steven Foster und Meredith Little beschreiben diese Methoden so: „Stehe in der Morgendämmerung auf, lass dein Alltagsleben hinter dir und gehe allein und ohne Essen in die natürliche Welt. Folge einem intuitiv gefundenen Weg, der dich zu allem hinführt, was deine Aufmerksamkeit erregt. Wenn du derzeit mit einer Krise oder einem Problem beschäftigt bist, nimm dein Problem mit dir und lasse deine Schritte beim Wandern davon leiten. Denke nicht, du müsstest eine möglichst große Strecke zurücklegen oder dich ohne Not Gefahren aussetzen. Wandere mit weit offenen Sinnen. Stell dir vor, du seiest ein Tier. Sei wild. Versuche, nicht gehört oder gesehen zu werden. Schau nicht auf die Uhr. Finde Ruheplätze, an denen du dich willkommen fühlst. Übe dich darin, vollständig still zu sein, in einem Zustand wacher Gelassenheit. Wenn du es brauchst, mach ein Nickerchen. Vielleicht hast du einen besonderen Traum. Sprich zu dir selbst und zu allen anderen wilden Wesen. Bete, wenn es dich dazu drängt. Bei Sonnenuntergang ist deine Wanderung beendet. Kehre zum Ältestenrat zurück und erzähle deine Geschichte.“
Die Nachtwanderung: „Gehe zu einem Ort, an dem du absolut schweigsam und allein sein kannst, umgeben von den ineinander fließenden Schatten der inneren menschlichen Natur. Lade die Dunkelheit zu dir ein. Gehe und sitze die ganze Nacht mit deinen Gefühlen, deinen Erinnerungen, dem alltäglichen Verkehr auf den Straßen deiner Psyche. Lausche der Nacht, dem Schlagen deines Herzens, dem Rauschen deines Atems. Höre deiner Angst zu. Lausche und warte. Falls du einschläfst und träumst, erinnere deinen Traum. Du wurdest vom Licht getrennt, damit du einen dunklen Ort durchqueren kannst. Wenn es dich ankommt, erhebe deine Stimme und schreie, stöhne, rufe oder mache auf andere Weise allem Luft, was sich gefangen fühlt in dir. Praktiziere verschiedene Weisen zu gehen, zu stehen und zu sitzen, deine Kraft zu kennzeichnen, dich auszudrücken und dich zu wehren. Die Nachtwanderung wird dir Charakter, Seele und Legitimation schenken, die später im Ältestenrat enthüllt werden.“
Die große Wanderung: Weg und Gehen sind bei der Steven und Merediths großer Wanderung die zentrale Erfahrung: „Gehe für sieben Tage und Nächte allein in die Wildnis und folge dabei einem vorher festgelegten Kurs, der dich in ein Abenteuer führt, durch das du dein Sterben für die Kindheit und deine Wiedergeburt zur Reife einer Frau oder eines Mannes bekräftigst. Mit einem Minimum an Essen und Ausrüstung wirst du dich in Selbständigkeit, Zusammenarbeit mit der Natur und in der Selbstverpflichtung üben müssen, harte Zeiten durchzustehen. Du folgst einem unausgebauten Weg, wanderst etwa 30 km und verbringst jede Nacht an einem neuen Platz abseits des Weges. Jeder Tag steht für eine neue Prüfung in deiner Initiation zum Erwachsenen. Wenn du wieder auftauchst, erzählst du deine Geschichte im Ältestenrat und erhältst von ihm die Bestätigung, dass du in eine neue Lebensstufe eingetreten bist.“
Das Folgen der eigenen Spur: „Verbringe eine Woche (!) damit, aus irgendeiner Substanz ein Objekt herzustellen, das dich selbst repräsentiert. Gehe mit diesem Objekt allein an einen Ort in der Natur, wo es keine Wege oder dir bekannte Orientierungspunkte gibt und wo du keine sichtbaren Fußspuren hinterlässt. Lege das Objekt auf die Erde oder in sie hinein und wende ihm den Rücken zu. Gehe eine Stunde lang von ihm weg, ohne zurückzuschauen. Wende dich dann wieder um, folge deiner Spur und finde dieses symbolische Objekt. Die Art und Weise, wie du an die Lösung dieser Aufgabe herangehst, wird das Thema der Geschichte sein, die du den Ältesten erzählst. Wenn du das Symbol deiner selbst nicht wiederfinden kannst, musst du dich mit dieser Tatsache abfinden und die Suche abbrechen.“