24.10.2025 09:30 – 26.10.2025 13:00
„Nichts ist groß als das Natürliche!“
(Goethe)
Der Begriff ‚Natur‘ steht im Zentrum der Naturtherapie. Er basiert auf einer philosophischen Idee und prägt auch heute noch unsere Sichtweisen und unser Erleben der Wirklichkeit in einem Ausmaß , das uns kaum bewusst ist. Die Idee ‚Natur‘ bestimmt nicht nur maßgeblich unseren Umgang mit dem nichtmenschlichen Leben, sondern auch unser Menschenbild (Anthropologie) und als ein Wertbegriff auch unsere Ethik. Auch im gesellschaftspolitischen Raum ist sie gerade heute von erheblicher Wirkmacht.
Die Entwicklung dieser Idee ist der Spiegel einer zweieinhalbtausendjährigen europäischen Geistesgeschichte. Von der Vier-Elemente-Lehre der vorsokratischen Naturphilosophen, als der Mensch noch ganz selbstverständlich als Teil der Natur gesehen wurde, über die christliche Natur als Schöpfung bis zur aufgeklärten modernen Naturwissenschaft, in der die Natur als Untersuchungsgegenstand auf die Objektseite geriet. Das Denken von Natur hat sich ständig verändert und einen sehr vielschichtigen kulturellen Leitbegriff hervorgebracht.
Im postmodernen philosophischen Denken wird der Naturbegriff jedoch für obsolet erklärt, weil er für uns heute in der technischen Zivilisation keine orientierende Wirkung mehr habe. Das hieße, den Gegenpol zur Natur, das technisch Seiende, das Menschengemachte, endgültig zur Alleinherrscherin unseres Lebens zu erklären. Aber schon die leibliche Erfahrung einer Krankheit ruft jedem von uns schmerzlich in Erinnerung, dass wir als irdische Menschen immer auch Naturwesen sind. Die aus sich selbst heraus existierende und wirkende Natur sollte uns allein schon deshalb bedeutsam sein, weil sie uns gegeben ist, so wie wir selbst uns gegeben sind.
Wir finden in den vorherrschenden zeitgeistigen Strömungen jedoch nicht nur Abwertung und Negation der Natur – insbesondere, dass es eine menschliche Natur gebe, wird grundsätzlich in Frage gestellt -, sondern auch einen inflationären und beliebigen Gebrauch dieses Begriffs etwa zur Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen. Offenbar sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Idee ‚Natur‘ von ihrem Ursprung, das heisst, von ihrer Erfahrungsgrundlage her erneuert werden muss.
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Für die Naturtherapie als einem speziellen Verfahren der Psychotherapie ist es von entscheidender Bedeutung, die Erfahrung ‚Natur‘ nicht nur in ihrer physischen, sondern auch in ihrer psychischen und geistigen Dimension zu studieren und dabei ein therapeutisch zielführendes Natur-Verständnis herauszuarbeiten. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von ‚Natur’ reden – von der ‚Natur-draußen‘ und der Natur, die wir selber sind? Was haben sie gemeinsam, was verbindet beide Erfahrungsbereiche? Welche Bedeutung hat Natur heute für unser Menschenbild – und wie können wir das konkretisieren, was wir unter der ‚menschlichen Natur‘ verstehen? Und in welchem Zusammenhang steht die Erfahrung von Natur bzw. ihr Verlust zu den vielfältigen Problemen und Störungen des Menschseins in unserer Zeit?
Die forcierte Denaturierung des Menschen führt zu einer Vielzahl von psychischen und psychosomatischen Problemen bzw. begünstigt ihr Auftauchen. Dazu gehören nicht nur gesundheitliche Probleme wie etwa die sog. ‚Zivilisationskrankheiten‘, sondern auch die zunehmende Zersplitterung unseres Selbst in unüberschaubar viele konstruierte Selbste, die entwurzelt und durch kein natürlich Gegebenes mehr miteinander verbunden sind. Spaltung und Mangel an innerer Kohärenz haben dazu geführt, dass Selbstpathologien und Identitätsstörungen zu den zentralen psychischen Pathologien unserer Zeit zählen.
Damit wir uns wieder mit der Natur verbinden können, Naturqualitäten sich wieder hilfreich auswirken können in uns, benötigen wir jedoch eine spezifische Zugangsweise: Eine Haltung von Empfänglichkeit, Resonanzfähigkeit, Gelassenheit und Akzeptanz. „Selbst Natur zu sein bedeutet, sich an sich selbst etwas gegeben sein zu lassen und als solches anzuerkennen. Eine solche Haltung widerstreitet der Grundhaltung, die wir in unserer technischen Zivilisation gelernt haben und tagtäglich durch unser Verhalten erneuern.“ (Gernot Böhme) Eine solche ‚pathische Grundhaltung‘ ist jedoch die Voraussetzung zur Befreiung unserer inneren Natur aus der Vorherrschaft der Konstrukte eines ausufernden Ichs, das offenkundig dabei ist, jedes Maß zu verlieren.
Kursansatz
In diesem Einführungsseminar erarbeiten wir uns durch Vortrag, Selbsterforschung und Übung die Grundlagen eines den Menschen integrierenden dynamischen Naturverständnisses, das als orientierender Bezugsrahmen für unser therapeutisches Handeln dienen kann.
Weder die Psychologie noch die Naturwissenschaften können uns eine übergeordnete anthropologische und ethische Orientierung für das therapeutische und das pädagogische Handeln zur Verfügung stellen. Dies ist seit jeher die originäre Aufgabe der Philosophie. Deshalb ist es für uns unabdingbar, unsere Arbeit auch philosophisch zu fundieren, wenn wir nicht der gerade vorherrschenden gesellschaftlichen Gemengelage oder einer bloß subjektiven Gesinnungsethik anheim fallen wollen. Ohne einen klaren normativen anthropologischen und ethischen Bezugsrahmen arbeiten wir vielleicht wissenschaftlich, aber orientierungslos.
Wir beschäftigen uns in diesem Einführungskurs nicht mit der Philosophie als akademische Wissenschaft, vielmehr setzen wir in unserer eigenen Erfahrungswelt an. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen Ansätzen dient uns vor allem dazu, bisher unbekannte oder ungewohnte Perspektiven einzunehmen und uns auf die sich dabei öffnenden neuen Erfahrungsräume einzulassen. Es geht in diesem Kurs also nicht um abstraktes naturphilosophisches Wissen, das kann nachgelesen werden. Da auch eine Einsicht noch nicht automatisch zu einer Veränderung führt, muss ein kontinuierliches Üben neu gewonnener Sichtweisen und Haltungen hinzutreten. Nur so kann die Philosophie auch Teil unserer therapeutischen Praxis werden, möglicherweise auch zu einer persönlichen Lebenspraxis, zu einer Art und Weise zu leben – zu einem Weg.
Der Kurs besteht aus zwei Teilen und ist fortlaufend. Jeder Kursteil kann separat belegt werden und ist eine in sich geschlossene Einheit.
Schwerpunkt im 2. Kursteil (2025): Die animalische Seinsweise
Schwerpunkt im 1. Kursteil (2026): Die vegetabile Seinsweise
Der Kurs ist Teil der naturtherapeutischen Ausbildung, er ist jedoch auch offen für Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die nicht das vollständige Ausbildungsprogramm absolvieren wollen. Ein geringes ‚Zielpaket’ und viel Offenheit sind erwünscht, vor allem die Bereitschaft zum Selbststudium ist unabdingbare Voraussetzung.
T e r m i n 2 0 2 5 :
Fr., 24.10., 9.30h – So. 26.10., 13.00h
Teilnahmegebühr: 360.- €
Anmeldung (mit Anmeldeformular): Exist – Schule für Naturtherapie, Postf. 1620, D-86819 Bad Wörishofen
Ort: Bildungshof Preißinger, Obere Hauptstr. 55, D-87782 Oberegg
Übernachtung und Verpflegung: Bitte direkt bei Marlene Preißinger buchen – Email: marlene.preissinger@web.de, Tel: 08269 – 1047
Leitung: Markus Wimmer, Moritz Sachon