01.11.2024 09:30 – 03.11.2024 13:00
Entwicklungsstufen des erwachsenen Selbst in der zweiten Lebenshälfte
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehen
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen
Aber versuchen will ich ihn.
– Rainer Maria Rilke –
Unsere Situation ab der Lebensmitte ist heute völlig neu in der Menschheitsgeschichte: Wir stehen in einer Lebensphase, die es früher so in dieser Ausdehnung nicht gab.
Dass wir länger leben heisst nicht, dass am Ende des Lebens lediglich etwas ‚dazukommt’. Vielmehr ist dadurch unser Dasein jenseits der Lebensmitte insgesamt grundlegend verändert. Der Rahmen, in dem sich unsere Biographie entfalten kann, ist also neu gesetzt.
Wir können diese Phase als Raum erfahren, jetzt freier vom vielen Funktionieren und den Verpflichtungen, indem wir nicht irgendwas mehr oder besser machen, sondern auf neue Art zu sein.*
Einige Aufgaben gibt uns die Natur vor. Es sind – trotz des medizinischen Fortschritts – die natürlichen Prozesse des Älterwerdens, die körperlichen Veränderungs- und Abbauprozesse und alles, was damit zu tun hat. Unsere Körperlichkeit bestimmt unser Leben in zunehmendem Maß. Dabei verändert sich auch unser Selbstgefühl. Wir benötigen jetzt ein empfängliches, ein offenes Bewusstsein, das darauf verzichtet, diese Realität zu verdrängen oder zu beschönigen und am Status Quo festhalten will.
Die Natur macht uns durch vielfältige Erfahrungen (Einbußen in der körperlichen Leistungsfähigkeit, erste chronische Erkrankungen, Tod der Eltern u.ä.) auch unmissverständlich klar, wohin sie uns führen wird: Das Leben des reifen Erwachsenen ist immer ein Leben auf den Tode hin. Wenn wir diese Zielrichtug nicht verdrängen, dann geraten wir spätestens jetzt in das Kraftfeld der religiösen Frage. Wir suchen jetzt Sinn in dem, was mit uns geschieht, Wappnung gegen anflutende Verzweiflung und Verbitterung.
Der Entwicklungspsychologe E r i k E r i k s o n beschreibt das Entwicklungsziel des reifen Erwachsenenselbst als einen Zustand der Integrität: „Er bedeutet die Annahme seines einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig da sein mussten.“ Er bedeutet ein Freiwerden von dem Wunsch, es möchte anders gewesen sein als es war, und die Bejahung der Tatsache, dass man für das eigene Leben allein verantwortlich ist. „Er enthält ein Gefühl von Kameradschaft zu den Männern und Frauen ferner Zeiten und Lebensformen, die Ordnungen, Dinge und Lehren schufen, welche die menschliche Würde und Liebe vermehrt haben.“
Andere hilfreiche Perspektiven bieten die Konzepte der Überindividualität von R o b e r t K e g a n und der Individuation von C. G. J u n g. Beiden gemeinsam ist: Die Sorge um die Zukunft der Menschen, um Kontinuität und Lebenszusammenhang, der tiefe Wunsch, dem Leben zu dienen, verlangt von uns, uns nochmals ganz neu einzulassen auf das Abenteuer des persönlichen Wachstums. Dh zum Wesentlichen, was unser individuelles Menschsein ausmacht zu kommen. Gerade jetzt unser ganz eigenes Leben zu wagen. Dazu benötigen wir viel ‚Anfängergeist’ – vielleicht mehr denn je. Die Frage an uns ist: Sind wir bereit, nochmals an uns zu arbeiten, obwohl doch alles Wichtige in der Welt schon erreicht scheint – also wozu eigentlich?
Wollen wir darauf schauen, was uns mit Sinn erfüllt und welchem Zweck unser Leben dienen kann?
Jetzt kann es auch darum gehen,etwas zu erlernen, in dem wir bisher eher unerfahren, vielleicht sogar stümperhaft waren. Die Lebenskünste eines reifen Erwachsenen zu entfalten.
Es gibt viele Lebenskünste, die wir erlernen können, wenn wir erst einmal bereit sind. Wir können uns etwa der vielleicht größten aller Künste zuwenden: Person zu werden und die Dinge, die wir tun, auf personale Weise, aus unserem Wesen heraus zu tun. Oder der Kunst der Intimität und des reifen Liebens, der Kunst des Müßiggangs, der Kunst des Glaubens und der Versöhnung und vor allem der Kunst der Achtsamkeit, im Augenblick zu leben – denn eines ist klar: Die Gegenwart wird immer wertvoller, je kürzer die Zukunft wird. Und wenn sie eines Tages ganz verschwindet, dann bleibt uns lediglich die Kostbarkeit des gelebten und erlebten Augenblicks.
Für das Wachsen und Reifen in der zweiten Lebenshälfte gibt es nur wenig allgemeingültige Programme und Rezepte. Gerade jetzt gilt es – mehr noch als zu Beginn unseres Erwachsenenlebens – unseren ganz eigenes Leben zu wagen. Es kann ein Reiz sein, denn es geht um das Lebendige, was erfahrbar ist, nicht um etwas was wir mühsam erreichen müssen. Es ist der Reiz von Freiheit, Befreiung, neuer Spielräume.
Wir sind mit dieser Herausforderung und den damit verbundenen Fragen ja nicht allein. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die sich ihr gestellt haben. Deshalb werfen wir auch einen Blick in das Leben einiger Menschen, die gerungen haben um ihren ganz persönlichen Weg des Reifens und Wachsens im Älterwerden, wie etwa Goethe, C.G.Jung, Hesse u.a.m. Sie werden uns auch in diesem Kurs inspirieren und ermutigen.
In diesem Fortbildungskurs geht es um die Entwicklungsthemen und -probleme des Erwachsenen nach der Lebensmitte bis ins Alter hinein, um die sog. ‚zweiten Lebenshälfte’. Und es geht auch darum, wie wir andere Menschen und auch uns selbst dabei unterstützen können, die dabei stattfindenden Wandlungs- und Übergangsprozesse gut zu bewältigen.
Die Wechseljahre der Lebensmitte sind ja nicht nur das Ende, sondern auch der Beginn einer neuen Lebensphase – und in Bezug auf diese sind wir wieder Anfänger.
Diese Fortbildung besteht aus Selbsterfahrung, Vortrag und Übung.
Als Übungsraum dient uns vorallem die „Natur draußen“.
Sie ist nicht nur für Therapeuten und Pädagogen geeignet, sondern auch für alle, die sich persönlich vertieft mit den Entwicklungsthemen und -aufgaben in der zweiten Lebenshälfte auseinandersetzen wollen.
Der Kurs besteht aus zwei zusammenhängenden teilen
Termin 2024:
Teil 1 Fr, 01.11. 09:30h – So, 03.11.2023 13h
Teil 2 in 2025, Termin wird rechtzeitig bekanntgegeben
Teilnahmegebühr: je Teil 260.-EUR
Anmeldung (mit Anmeldeformular): D-86819 Bad Wörishofen, Postf. 1620
Ort: Bildungshof Preißinger, Oberegg
Übernachtung und Verpflegung: Bildungshof Preissinger, Obere Hauptstr.55, 87782 Oberegg, marlene.preissinger@web.de
Leitung: Angelika Ott (Paartherapie, Existenzialpsychologische Therapie, Naturtherapie i.A.)